Willkommen, Élise!
An einem warmen Sommertag in Frankreich saß Élise still auf ihrem Bett. In den Händen hielt sie ein Foto von sich und ihren Freundinnen. Heute war kein gewöhnlicher Tag, denn ihre Eltern hatten ihr vor einiger Zeit erzählt, dass sie nach Deutschland ziehen würden. Heute war die Abreise und Élise war traurig. Sie liebte ihr Zuhause, ihre Freundinnen, die vertrauten Straßen, die französischen Bäckereien und die Sprache, die sich für sie wie Musik anhörte. Aber tief in ihrem Herzen wusste sie auch, dass der Umzug wichtig war. In Deutschland würden ihre Eltern endlich besser verdienen und das bedeutete, dass sie mehr Zeit miteinander verbringen könnten. So packte Élise ihren letzten kleinen Koffer. Dabei ihr Lieblingsbuch, das Kuscheltier mit dem abgewetzten Ohr und das Notizheft mit französischen Liedtexten mussten unbedingt mit.
Als sie später im Flugzeug saß und aus dem Fenster blickte, flüsterte sie leise: „Au revoir, ma maison.“ Paris verschwand langsam unter den Wolken.
Stunden später landete das Flugzeug in Düsseldorf. Élise war müde, aber auch neugierig. Ein Taxi brachte sie und ihre Eltern zu ihrer neuen Wohnung in Düsseldorf-Heerdt. Die Wohnung war bereits vollständig eingerichtet, alles sah ordentlich und freundlich aus. Als Élise aus dem Fenster ihres Zimmers blickte, entdeckte sie direkt gegenüber ein schönes Gebäude. Davor stand eine leuchtende, farbenfrohe Bank. Sie konnte den Blick kaum davon abwenden. Was war das nur für ein Haus? Irgendetwas daran machte sie neugierig.
Da es Sonntag war, beschlossen ihre Eltern, mit ihr einen Spaziergang zu machen. Sie liefen durch die Straßen, vorbei an Bäumen und alten Häusern. Schließlich kamen sie in Oberkassel an. Auf einem sonnigen Platz entdeckten sie eine kleine Pizzeria. Die Pizza war köstlich und während sie gemeinsam aßen, fühlte sich plötzlich alles ein bisschen leichter an. Élises Mutter sah sie an und sagte: „Weißt du noch das bunte Gebäude, das du von deinem Fenster aus gesehen hast? Das ist deine neue Schule.“ Élise starrte sie überrascht an. „Was? Das ist eine Schule?“ Ihr Vater grinste. „Und sie heißt Élise Freinet Gesamtschule, also fast wie du.“ Élise verschluckte sich fast vor Staunen. „Das gibt’s doch gar nicht! Eine Schule mit meinem Namen?“ Sie lachte, und ein kleines Kribbeln von Aufregung machte sich in ihrem Bauch breit.
Auf dem Heimweg dachte sie an ihre Freundinnen in Frankreich. Natürlich würde sie sie vermissen, aber sie würden in Kontakt bleiben. Und wer weiß, vielleicht würde sie in der neuen Schule ja auch jemanden kennenlernen, mit dem sie lachen konnte. In dieser Nacht konnte Élise kaum schlafen. Immer wieder drehte sie sich im Bett hin und her. Sie dachte an das große bunte Schulgebäude, an die vielen fremden Gesichter und an ihren allerersten Tag an der Élise-Freinet-Gesamtschule. Doch irgendwann fielen ihr die Augen zu. In ihrem Traum war sie bereits mitten im Klassenzimmer, voller Lachen und Stimmen.
Am nächsten Morgen wurde Élise von einem leisen Klopfen geweckt. Ihr Vater öffnete vorsichtig die Tür. „Guten Morgen, Élise. Aufstehen – dein großer Tag beginnt“, sagte er sanft. Sie setzte sich blitzschnell auf. Beim Frühstück tunkte sie ihr Croissant nur kurz in die Milch, wie sie es in Frankreich immer gemacht hatte. Dann schulterte sie ihren Rucksack und es ging los. Gemeinsam mit ihren Eltern ging sie los. Der Weg zur Schule war kurz, keine fünfzig Meter entfernt.
Vor dem Eingang stand ein Mann im Anzug. Er lächelte freundlich. „Na, du musst Élise sein“, sagte er. „Ich bin Herr Hajdarovski, der Schulleiter. Willkommen an der Élise Freinet Gesamtschule! Deiner neuen Schule.“ Élise staunte. Noch nie hatte sie ein Schulleiter persönlich begrüßt. „Danke“, sagte sie leise, aber auch ein bisschen stolz. „Du bist die erste Élise, die hier unterrichtet wird. Und dass du denselben Namen wie unsere Schule trägst, ist etwas ganz Besonderes.“
Gemeinsam mit ihren Eltern wurde sie in das Büro des Schulleiters begleitet. Dort füllten sie einige Formulare aus. Dann klopfte es an der Tür, und eine freundliche Frau trat ein. „Ah, Frau Losem!“, sagte Herr Hajdarovski. „Das ist Ihre neue Schülerin Élise. Würden Sie sie bitte mitnehmen und ihr alles zeigen?“ Frau Losem nickte freundlich. „Na klar. Komm, Élise, ich zeige dir deine Klasse.“ Élise verabschiedete sich von ihren Eltern und folgte der Lehrerin durch das große Schulgebäude. Sie war beeindruckt. Alles war offen, hell und modern. Frau Losem lächelte. „Ja, wir sind eine besondere Schule. Schau mal, das ist unsere Bühne. Dort finden Theaterstücke statt. Und siehst du die Lichteranlage? Die ist wie in einem richtigen Theater!“ Élise sah offene Lerninseln, gemütliche Sitzecken, riesige Fenster, einen Basketballplatz, ein Fußballfeld und sogar einen Kletterturm auf dem Schulhof. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, flüsterte sie.
Als sie das Klassenzimmer betraten, klatschte die ganze Klasse Applaus. Élise blieb stehen. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Die Kinder winkten ihr zu und lächelten. Frau Losem stellte sie vor. „Das ist Élise, eure neue Mitschülerin. Herr Heising ist übrigens auch dein Klassenlehrer. Ich übergebe dich jetzt an ihn, wir sehen uns später in Deutsch.“ „Bonjour, Élise!“, begrüßte sie Herr Heising mit einem freundlichen Lächeln. „Sprichst du Deutsch?“ „Ja, fließend“, antwortete Élise. „Meine Oma kommt aus Deutschland und in meiner Schule in Frankreich hatte ich Deutschunterricht.“ „Na, dann setz dich doch zu Emilia, Ella und Lucy“, schlug er vor. Die drei Mädchen strahlten. Sie saßen an einem Tisch mit vier Plätzen, und der vierte war nun endlich besetzt. „Hallo!“, flüsterte Emilia. „Endlich ist unser Tisch komplett!“ Élise lachte und holte ihre Hefte heraus. Sie fühlte sich auf einmal richtig wohl.
Der Matheunterricht begann, aber ganz anders, als Élise es kannte. Heute präsentierte ein Junge namens Ahmed ein Mathe-Diorama, das er selbst gebastelt hatte. Es zeigte bunte geometrische Formen, kleine Häuschen, Dreiecke, Pyramiden und vieles mehr. „Ich habe auch Übungsaufgaben dazu gemacht“, erklärte Ahmed stolz. Herr Heising nickte. „Super, dann teile sie aus.“ Die Klasse arbeitete in Gruppen, löste Rätsel und suchte Hinweise im Diorama. Élise war mittendrin. Sie dachte kaum noch an Frankreich. Dieser Unterricht war so lebendig und so spannend. Sie wollte gar nicht, dass die Stunde zu Ende ging.
Doch dann klingelte es zur großen Pause. Élise sah etwas enttäuscht auf. „Keine Sorge“, sagte Emilia lachend. „Wir zeigen dir jetzt den Schulhof und ein paar richtig nette Leute.“ Die vier Mädchen rannten gemeinsam hinaus. Die Sonne schien hell über dem weiten Pausenhof. Élise blieb kurz stehen, sog die warme Luft ein und schaute sich um. Alles war neu. Aber irgendwie fühlte sich alles schon ein bisschen wie Zuhause an. Auf dem Schulhof war eine Menge los. Élise, Emilia, Ella und Lucy liefen eine Runde über das Gelände. Viele Kinder winkten ihnen zu. Einige sprachen Élise direkt an und fragten, ob sie neu sei. Élise kam sich fast vor wie ein kleiner Weltstar. Alle waren so nett, so etwas kannte sie von ihrer alten Schule nicht.
Plötzlich flog ihr ein gelber Schaumstoffball direkt ins Gesicht. „Sorry, das war keine Absicht!“, rief eine Stimme. Es war Ahmed, der sofort angelaufen kam. „Tut mir echt leid! Ich wurde gerade gefoult und bin ausgerutscht.“ Auch Hagar winkte aus der Ferne und rief: „Sorry, war mein Fehler!“ Ella stemmte die Hände in die Hüften. „Kannst du nicht besser aufpassen, wo du hinschießt?“ Doch Élise winkte ab. „Alles gut. Ich weiß ja, wer Ahmed ist, der mit dem coolen Mathezeug.“ Ahmed wurde ein bisschen rot, grinste aber stolz. Lucy grinste. „Du bist noch keine paar Stunden hier und hast schon deinen ersten Crush.“ Alle kicherten. Ahmed rannte zurück zum Spiel, während die Mädchen sich mit ihren Pausenbroten auf die grüne Wiese setzten und den Superfußballer beobachteten.
Nach der Pause ging es in den naturwissenschaftlichen Raum. Dort untersuchten sie Blätter, gewannen grüne Farbe daraus und malten kleine Kunstwerke. Auch das hatte Élise noch nie erlebt. Die Stunde verging wie im Flug. Nach der Schule tauschten alle ihre Nummern aus und verabredeten sich bereits für das Wochenende im nahegelegenen Freizeitpark. Emilia, Ella und Lucy brachten Élise nach Hause. Dort erzählte sie ihren Eltern vom aufregenden Tag, von ihren neuen Freundinnen, dem netten Jungen Ahmed und sogar von einem Ball, der ihr ins Gesicht geflogen war. Ihre Mutter lachte. „Hauptsache, es geht dir gut.“ Élise nickte. Es ging ihr richtig gut.
Da keine Hausaufgaben auf waren, fuhren sie am Nachmittag gemeinsam in den Aquazoo. Élise staunte, echte Haie schwammen hinter Glas. Plötzlich tippte ihr jemand auf die Schulter. „Hey Élise, was machst du denn hier?“ Sie drehte sich um. Es war Ahmed! „Ich bin mit meiner Familie hier“, sagte er. „Mein Bruder hat Geburtstag.“ Gemeinsam schauten sie sich die Pinguine an und lachten. Als Élises Mutter sie schließlich suchte, stellte sie ihr Ahmed vor. Der grinste und verabschiedete sich höflich. Élises Mutter schüttelte den Kopf und lächelte. „Na, du bist mir eine.“ Die Familie fuhr nach Hause und ein langer, aufregender Tag ging zu Ende.
Einige Wochen waren vergangen, seit Élise an der Élise Freinet Gesamtschule angekommen war. Anfangs war alles neu und aufregend gewesen, doch inzwischen kannte sie jeden Winkel des Gebäudes. Viel wichtiger aber war, dass Élise ganz großartige Freundinnen gefunden hatte. Emilia, Ella und Lucy. Gemeinsam waren sie inzwischen ein echtes Team. Heute war ein besonderer Tag. Das große Schulfest!
Schon am frühen Morgen war die Schule kaum wiederzuerkennen. Überall flatterten bunte Wimpelketten, Luftballons zierten die Eingänge, und auf dem Schulhof standen Pavillons mit liebevoll geschmückten Ständen. Es roch nach frischem Popcorn, Kuchen und Grillwürstchen. Kinder liefen lachend umher, viele kamen in bunten T-Shirts mit dem Logo der Schule. Eltern, Großeltern, kleine Geschwister und viele neue Kinder. Alle waren da. Élise und ihre drei Freundinnen hatten sich freiwillig gemeldet, um Frau Stanko an der Popcornmaschine zu unterstützen. Die Maschine puffte laut, bei jedem neuen Schub Maiskörner stieg eine kleine Dampfwolke auf. „Popcorn ist die wichtigste Währung heute“, lachte Emilia und füllte die nächste Tüte. Élise reichte sie einem kleinen Jungen mit großen Augen. „Bitte schön. Aber vorsichtig, es ist noch warm!“ Nebenan konnten Kinder Buttons gestalten oder sich bunte Glitzertattoos aufs Handgelenk malen lassen. Ein paar Eltern grillten Würstchen im Akkord und auf der Wiese spielte eine Schülerband bekannte Lieder, die sofort zum Mitsingen einluden. Auf dem Kletterturm traten Kinder in einem Kletterduell gegeneinander an. Am Bücherstand konnte man gut erhaltene Bücher für eine kleine Spende mitnehmen und beim Kinderflohmarkt entdeckte Élise sogar ein altes französisches Kinderbuch aus ihrer Heimat. Sie lächelte.
Kurz vor Mittag bat der Schülersprecher Milon alle über die Lautsprecheranlage um Aufmerksamkeit. Die Musik verstummte, Gespräche wurden leiser. Auf der Bühne in der Mitte des Schulhofs trat der Schulleiter, Herr Hajdarovski, ans Mikrofon. In der Hand hielt er ein paar Notizzettel, aber er sprach frei. „Liebe Kinder, liebe Familien, liebe Gäste“, begann er mit fester Stimme, „dieses Fest ist mehr als nur ein Fest. Es ist ein Zeichen unserer Gemeinschaft. Unsere Schule ist ein Ort, an dem jede und jeder willkommen ist! Egal, woher man kommt, welche Sprache man spricht oder welche Träume man hat. Und wir sind besonders stolz, dass wir heute so viele lachende Gesichter sehen.“ Die Menge klatschte, einige Eltern riefen begeistert „Bravo!“. Herr Hajdarovski fuhr fort: „Ihr alle macht unsere Schule zu einem besonderen Ort. Und manchmal kommt sogar jemand mit einem ganz besonderen Namen zu uns – wie Élise.“ Er blickte direkt zu ihr und zwinkerte. Élise wurde rot, aber auch ganz warm ums Herz. Emilia stupste sie an. „Das bist du!“ Nach der Rede ging das Fest mit neuer Energie weiter. Élise durfte eine kleine Pause machen. Da hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme: „Zwei Tüten Popcorn, bitte.“ Vor ihr stand Ahmed. „Die eine ist für dich“, sagte er. „Komm, wir essen sie draußen.“
Gemeinsam setzten sie sich auf die bunt bemalte Bank vor dem Haupteingang. Die Sonne stand hoch am Himmel, ihre Gesichter leuchteten im Licht. Sie lachten, redeten über die lustigsten Lehrer der Schule, ihre liebsten Fächer und was sie sich für die nächsten Ferien wünschten. Als Ahmed ihr erzählte, dass er gern einmal ein eigenes Computerspiel programmieren würde, sagte Élise: „Ich schreibe die Geschichte dafür, einverstanden?“ „Deal“, grinste Ahmed.
Kurz darauf kamen Emilia, Ella und Lucy mit großen Stücken Wassermelone vorbei und quetschten sich mit auf die Bank. „Na, ihr zwei“, grinste Emilia. Dann kam auch noch Hagar dazu, ebenfalls mit einem dicken Stück Melone in der Hand. Die Bank wurde voller und voller, das Lachen lauter und wärmer. Hinter ihnen spielte die Band wieder, und der Duft vom Popcorn zog durch die Luft. Alle saßen dort zusammen, ein bisschen zerdrückt, aber rundum glücklich. Sie plauderten, kicherten, erzählten sich Geschichten, warfen Popcorn in den Mund und spuckten ab und zu eine Melonenkerne ins Gras. Es war laut, fröhlich und herrlich chaotisch. Genau wie es sein sollte. Élise sah sich um. Sie war nicht mehr die Neue. Sie war ein Teil dieser Schule, ein Teil dieser Gemeinschaft.
Nachwort:
Dieses kleine Buch entstand im Schuljahr 2024/2025 an der Élise Freinet Gesamtschule im Rahmen unseres Demokratieprojekts „Wer war Élise Freinet?“. Die Schülerinnen und Schüler haben sich darin mit der Geschichte unserer Namensgeberin auseinandergesetzt und überlegt, wie man demokratisches Lernen kreativ gestalten kann. Neben einer Ausstellung zur Person „Élise Freinet“ ist dabei auch diese Geschichte entstanden. Entwickelt in einem offenen, sehr demokratischen und lebendigen Austausch unter den Kindern selbst. Die Figuren, Ideen und der Verlauf der Handlung wurden gemeinsam abgestimmt, diskutiert und immer wieder verändert. So entstand eine Geschichte über das Ankommen an unserer Schule, über Freundschaft, Vielfalt und Gemeinschaft. Ich danke allen beteiligten Schülerinnen und Schülern für ihre Kreativität, ihre Fantasie und vor allem ihren Teamgeist. Auch für das kunstvolle Cover, gemalt von Anna. Dieses Buch ist ein echtes Gemeinschaftswerk und Beweis, wie wundervoll Schule sein kann.
Benjamin Forg